Durchhaltevermögen

Ein Kandidat im mentalen Schützengraben

Karl Kraus benutzte die Sprache als Mittel zur Erkenntnis, als „die Wünschelrute, die gedankliche Quellen findet.“

Versuchen wir, ihm darin zu folgen. Nehmen wir beispielsweise diesen Satz:

In diesen Zeiten gehört schon einiger Mut dazu, sich um ein Amt als Bürgermeister von Hilden zu bewerben.“

Das schreibt der bestens bekannte anonyme Hofpoet im allmählich verstummenden hildenNET. Er lässt die Leser im Unklaren darüber, um welche Zeiten es sich handelt und warum Mut dazu gehören soll, sich „als Bürgermeister“ um ein Amt zu bewerben, wenn man doch schon eines hat.

Der „derzeitige Amtsinhaber“, der sich einem Amtsinhaber offenbar unterscheidet, habe „die Messlatte doch recht hoch gelegt.“

Es geht also offenbar um einen sportlichen Wettbewerb. Nimmt man das Bild ernst, dann stellt man sich bei dieser körperlichen Herausforderung den von hildenNET bejubelten Ex-dUH-Fraktionschef vor.

Der Griff nach dem Chefsessel im Rathaus wird eingeleitet durch einen tiefen rhetorischen Bückling vor der plötzlich entdeckten „Professionalität“ und dem „Durchhaltevermögen“ des Amtsinhabers. Mit dieser Sekundärtugend, die der hildenNET-Autor offenbar positiv bewertet, sind unsere Väter und Großväter bis an die Wolga gekommen.

Geht es auch um politische Inhalte?

Es gab Zeiten, in denen heutige bzw. mehrfach gehäutete „Alliierte“ dem Bürgermeister  bzw. Amtsinhaber fachliche Fehler unterstellten: vom Winterdienst bis zur Auftragsvergabe an städtische Gesellschaften mit privater Beteiligung.

Doch wer lange gegen eine Wand angerannt ist ohne auf der anderen Seite anzukommen, der findet sich mit dem Beton ab, greift zur Farbe und sagt sich: „Ich male mir die Welt, widdewidde, wie sie mir gefällt.“

Wenn – wie suggeriert wird – „diejenigen, die sich an Wahlen beteiligen, diese Kriterien zur Grundlage machen“, dann sind politische Inhalte weniger wichtig als „Professionalität“ und „Durchhaltevermögen“. Dann geht es schlicht und einfach darum, ein Image aufzubauen, fernab von nachprüfbaren Aussagen und messbaren Zielen.

Folgt man dieser Logik, dann hat der nicht von allen Parteifreunden auf den Schild gehobenen Bürgermeisterkandidaten der dUH-Nachfolger erkennbare Defizite: Wer innerhalb von weniger als vier Jahren dreimal die Seiten gewechselt hat, ist ein hyperaktiver politischer „Zappel-Philipp“ ohne Durchhaltevermögen.

Und was die Professionalität angeht, so kann der staatlich voll alimentierte, unkündbare Beamte, der „Staatskunden“ ausgemacht haben will, die „von Hartz IV leben und denen städtisch subventionierte Komfortwohnungen lieber sind als ihr sind als ihr jetziger sozialer Brennpunkt“, auch nichts bieten.

Denn wer so spricht, der spaltet und der will das auch. Doch diese trübe Welle wird nicht stark genug sein, um einen von Staatsknete lebenden Beamten auf einen neuen Versorgungsposten zu hieven.

Wer zum Bürgermeister gewählt werden will, braucht die Mehrheit der abgegebenen Stimmen. Hinter dieser Binsenweisheit verbirgt sich das Einfache, das schwer zu machen ist: Ein breites Bündnisses mit einer sehr heterogenen Wählerschaft. Wer sich selbst als „Lager“ definiert, grenzt andere aus.

In puncto „Professionalität“ stellt beispielsweise jede Schulsekretärin täglich mehr „Multi-Tasking“ unter Beweis als ein verbeamteter Richter.

Und wer, wie der Bürgermeisterkandidat der dUH-Nachfolger, in mimosenhafter Weise auf Konflikte reagiert und persönliche Eitelkeiten politisiert hat, der war und ist einfach unprofessionell.

„Insofern, Chapeau, Herr Prof. Bommermann“, wirft sich der anonyme Hofschreiber vor dem Kandidaten in den Staub.

Da kann man nur zustimmen, denn die Polarisierung, die Bürgermeisterkandidat und Mitläufer buchstäblich verkörpern, wird beiden – dem Kandidaten und der Ratsliste – entscheidende Stimmen kosten.

Trotzdem anzutreten – dazu gehört Mut.