Stadtverwaltung: Altersarmut unbekannt

Idyllischer „Seniorenbericht 2013“ 

Im Sozialausschuss des Stadtrats wurde vorgestern (25.11.2013) der „Seniorenbericht“ vorgestellt. Daran schloss sich der Tagesordnungspunkt „Vorstellung der Weiterentwicklung der Seniorenarbeit bis 2014“ an.

Zu beiden Themen hatte die Stadtverwaltung dem „Fachausschuss“ eine Kenntnisnahme empfohlen; abgestimmt werden sollte nicht. Denn das widerspräche der vor allem vom Beigeordneten Gatzke seit Jahren forcierten Entmündigung der Politik.

Die Stadtverwaltung macht und die Politiker nicken alles ab. Nur wenige Rats- und Ausschussmitglieder unterziehen sich der Mühe und lesen, was ihnen das Rathaus auf den Tisch legt. Ein Seniorenbericht von 75 Seiten kann für manchen eine echte Herausforderung darstellen.

Zur Ehrenrettung der 44 Ratsmitglieder sei gesiegt: Nicht immer ist Faulheit oder Desinteresse schuld daran, wenn gewählte Vertreter der Bürgerschaft nicht lesen, was sie zur Kenntnis nehmen sollen.

Manchmal ist das, was sie da lesen sollen, in einem Deutsch verfasst, das wie geistiges Holzmehl schmeckt.

Ungekrönter König auf dem Gebiet der kautschukartigen Textbausteine ohne Geschmack ist – wen wundert’s – der Beigeordnete Gatzke. Was aus seinem Dezernat kommt, das liest so beispielsweise so:

Die Diskussion um verstärkte, partizipatorische Entwicklung von inkludierenden Angeboten der kulturellen Vielfalt in Kooperation mit den verschiedenen Kulturvereinen sowie den Kernergebnissen und Handlungsempfehlungen des KOMM-IN-Projektes 2011-2012 münden in dem Vorhaben des Aufbaus einer sozialen Netzwerkgruppe für Menschen mit Zuwanderungsgeschichte.“

Dass hier Subjekt und Prädikat nicht zueinander passen – eine lässliche Sünde. Haben Sie, lieber Leser, liebe Leserin, alles andere verstanden? Können Sie den Inhalt in einem Satz zusammenfassen, der kürzer ist als dieses (V)Erbrochene?

Dann sollten Sie für den Stadtrat kandidieren!

Und beachten Sie bitte, wie etwas völlig Unverbindliches, wie Vertrösten und Abwarten, mit der Aura dynamischer Aktivität aufgeladen wird: Da ist die Rede vom „Vorhaben des Aufbaus“… Ja, was hat man nicht alles vor, wenn das neue Jahr vor der Tür steht! Manche verkünden dann das Vorhaben des Abbaus ihrer Nikotinsucht.

Hätten wir nicht das Sozialdezernat unter Reinhard Gatzke, dann wüssten wir nicht, dass „das Jahr 2012 ein erfolgreiches und sehr reges Jahr mit unzähligen neuen Ideen (war).“ Und wenn wir uns nicht täuschen, dann war auch das Jahr 2011 erfolgreicher als nur erfolgreich. Und 2013 wird ganz gewiss nicht minder erfolgreich sein.

„Schwindlig vor Erfolg!“, das schrieb schon der Genosse Stalin im März 1930 warnend in der „Rheinischen Prawda“..

Wie erfolgreich das Jahr 2012 für die Seniorenarbeit war, ist der Stadt durch eine Studie bestätigt worden, die die Stadtverwaltung in Auftrag gegeben hat. Das Ergebnis beruht auf einer Datenerhebung, deren Grundlagen unbekannt sind:  „Hilden befindet sich auf einem sehr guten Weg, den Herausforderungen des demographischen Wandels gerecht zu werden.“

Beifall, Jubel, Hüte werden in die Höhe geworfen. Es kommt zu Verbrüderungsszenen wie im August 1914. Auch die Sozialdemokraten sind dabei. Und irgendwo jammert Xavier Naidoo „Dieser Weg wird kein leichter sein… .“

Doch was wäre ein Text aus dem Dezernat Gatzke, in dem der Hinweis auf „die Aufbruchsstimmung und die damit verbundenen Synergieeffekte“ fehlte, die selbstverständlich genutzt werden, verbunden mit dem freudigen Appell, „diese ins Jahr 2014 mitzunehmen, um die begonnene Arbeit weiterzuentwickeln und damit zu perfektionieren“?

Muss denn da noch etwas verbessert, ja perfektioniert werden?

Denn wer den vorgestern dem angeblichen Fachausschuss ebenfalls „zur Kenntnisnahme“ vorgelegten „Seniorenbericht“ unserer Stadtverwaltung gelesen hat, wird erstaunt feststellen:

In Hilden kommt das Thema „Armut“ beziehungsweise „Altersarmut“ nicht vor. Diese Wörter tauchen im Text nicht auf. Auf 75 Seiten findet sich nicht ein Hinweis darauf, dass schon heute in unserer Stadt 377 Menschen über 65 Jahre von der Grundsicherung abhängig sind.

Im „Seniorenbericht“ der Stadt wird auch mit keiner Silbe erwähnt, dass die Zahl der Grundsicherungsempfänger ab 65 Jahren in Hilden zwischen 2007 und 2011 um 17,2 % zugenommen hat.

Offensichtlich passen diese Zahlen nicht ins rosige Bild, das die SPD-geführte Stadtverwaltung vor der Kommunalwahl zeichnet bzw. zeichnen will. Und da es im Rat keine politische Kraft zu geben scheint, die genau liest, nachrechnet und vergleicht, wird diese Schönfärberei einstimmig zur Kenntnis genommen.

Hinzu kommt: Zum Thema „altersgerechtes Wohnen“ finden sich lediglich allgemeine Phrasen: keine einzige konkrete Zahlenangabe. „In Hilden gibt es für Senioren unterschiedliche Wohnmöglichkeiten außerhalb des Wohnens in der eigenen Wohnung“, klärt das Rathaus uns auf.

Dass diese Wohnmöglichkeiten in Hilden leider vom Geldbeutel abhängen, bleibt unerwähnt. Angaben zur öffentlichen Bau(un)tätigkeit für Senioren mit schmalem Geldbeutel sowie zur Nachfrage nach solchen Wohnungen fehlen ebenfalls.

Umso breiteren Raum nehmen allgemeine Erläuterungen zum Thema „Betreutes Wohnen“, „Wohnstifte“, „Wohngruppen und Wohngemeinschaften“ ein, die im Hinweis münden:

„Eine Übersicht über die Wohnangebote für Senioren hat der Kreis Mettmann in Form eines Flyers für alle kreisangehörigen Städte herausgegeben.“

Das ist aber schön. Dann erfahren viele Senioren wenigstens die Adresse eines Wohnheims, das sie sich nicht leisten können.

Für 2014 haben sich die für die älteren Menschen („Seniorenarbeit“) Zuständigen im Rathaus viel vorgenommen. Beeindruckt liest man:

„Die Mitarbeiterinnen des Amtes für Soziales und Integration sollen ihre Rolle und ihre Aufgaben zur Koordination, wirkungsorientierten Steuerung und Vernetzung der Akteure durch die Stadt Hilden im Arbeitskreis Seniorenbegegnung und im Stadtforum konkretisieren.“

Was wäre Hilden ohne „Synergieeffekte“, ohne die „wirkungsorientierte Steuerung“ und ohne die „Vernetzung der Akteure“?

Bei soviel technokratischer Verwaltungsrhetorik und bei soviel Worten gleich Sandsack-Barrikaden muss man sich um die Zukunft der von der „Seniorenarbeit“ in Lohn und Brot Gehaltenen im Rathaus keine Sorgen machen. Wer so schreibt, bleibt.

„Denn Armut ist ein großer Glanz aus Innen..“, lehrt uns der Dichter Rilke.

In Hilden gibt’s keine Armut. Punkt! Aus!

Lesen Sie auch:
„Aktuelle Zahlen zur Armut in Hilden“ (15. November 2013)
„Alles unter Kontrolle!“ (24. September 2013)