Unwort des Jahres 2013: „Sozialtourismus“

Jury hat entschieden: 1.340 Einsendungen

Eine Pressemitteilung:

Die sprachkritische Aktion „Unwort des Jahres“ möchte das Sprachbewusstsein und die Sprachsensibilität in der Bevölkerung fördern.

Sie lenkt den Blick auf sachlich unangemessene oder inhumane Formulierungen im öffentlichen Sprachgebrauch, um damit zu alltäglicher sprachkritischer Reflexion aufzufordern.

Im letzten Jahr ist die Diskussion um erwünschte und nicht erwünschte Zuwanderung nach Deutschland wieder aktuell geworden.

In diesem Zusammenhang wurde von einigen Politikern und Medien mit dem Ausdruck „Sozialtourismus“ gezielt Stimmung gegen unerwünschte Zuwanderer, insbesondere aus Osteuropa, gemacht.

Das Grundwort „Tourismus“ suggeriert in Verdrehung der offenkundigen Tatsachen eine dem Vergnügen und der Erholung dienende Reisetätigkeit.

Das Bestimmungswort „Sozial“ reduziert die damit gemeinte Zuwanderung auf das Ziel, vom deutschen Sozialsystem zu profitieren.

Dies diskriminiert Menschen, die aus purer Not in Deutschland eine bessere Zukunft suchen, und verschleiert ihr prinzipielles Recht hierzu.

Der Ausdruck „Sozialtourismus“ reiht sich dabei in ein Netz weiterer Unwörter ein, die zusammen dazu dienen, diese Stimmung zu befördern:

„Armutszuwanderung“ wird im Sinne von „Einwanderung in die Sozialsysteme“ ursprünglich diffamierend und nun zunehmend undifferenziert als vermeintlich sachlich-neutraler Ausdruck verwendet.

Mit „Freizügigkeitsmissbrauch“ wird denjenigen, die die in der EU jetzt auch für Menschen aus Bulgarien und Rumänien garantierte Freizügigkeit nutzen, ein kriminelles Verhalten unterstellt.

Der Ausdruck „Sozialtourismus“ treibt die Unterstellung einer böswilligen Absicht jedoch auf die Spitze.

Für das Jahr 2013 wurden 746 verschiedene Wörter eingeschickt. Die Jury erhielt insgesamt 1340 Einsendungen.

Die häufigsten Einsendungen (über 10 Einsendungen), die den Kriterien der Jury entsprechen, waren „Supergrundrecht“ (45mal), Homo-Ehe (19mal), „Ausschließeritis“(16mal) und „Armutszuwanderung/-einwanderung“ (15mal).

Außer Konkurrenz liefen Einsende-Kampagnen zu den Wörtern „Schnabelbehandlung“ (218mal eingesendet) und „Umstrittene Verhörmethode“ (26mal eingesendet).

Die Jury der institutionell unabhängigen Aktion „Unwort des Jahres“ besteht aus folgenden Mitgliedern:

  • den vier Sprachwissenschaftlern Prof. Dr. Nina Janich/TU Darmstadt (Sprecherin), PD Dr. Kersten Sven Roth (Universität Zürich), Prof. Dr. Jürgen Schiewe (Universität Greifswald) und Prof. Dr. Martin Wengeler (Universität Trier) sowie
  • dem Autor und Journalisten Stephan Hebel.

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„Unwort des Jahres“