Der eingebaute Zwang zum Zweit- oder Drittjob

Sozial-und Erziehungsberufe in Hilden

Im Sozial- und Erziehungsdienst arbeiten bundesweit rund 750.000 Beschäftigte, bei
Kommunen, freien und kirchlichen Trägern.

Derzeit verhandelt ver.di für die Beschäftigten in kommunalen Einrichtungen, etwa 240.000 Erzieherinnen, Sozialpädagogen,  Kinderpflegerinnen, Heilpädagogen und Sozialarbeiter, über eine deutliche Aufwertung  dieses Berufsfeldes.

Die kommunalen Arbeitgeber leugnen nach fünf Verhandlungsrunden jeden generellen
Aufwertungsbedarf und haben bisher kein offizielles Angebot vorgelegt.

Dies bedeutet, dass nun nach massiven Warnstreiks ab Mai ein unbefristeter Streik, der über Pfingsten andauern und Zug um Zug ausgeweitet werden wird, folgt.

Es geht in dieser Auseinandersetzung mit den Arbeitgebern schließlich um die Beschäftigten in Kindertagesstätten und Horten, in Jugendzentren, offenen Ganztagsschulen, in der Schulsozialarbeit, in Heimen für Kinder und Jugendliche, im allgemeinen Sozialdienst sowie Angeboten und Einrichtungen der Behindertenhilfe.

Die pädagogischen Anforderungen haben sich für Erzieherinnen in den letzten Jahren
deutlich erhöht:

Sprachförderung, Begabungsförderung, Inklusion, naturwissenschaftlich-
technische Frühförderung, Bewegungserziehung, frühe Chancen, Anschlussberatung,
Integration – all das gehört genauso zum Aufgabenspektrum wie auch eine Elternarbeit im
Sinne gemeinsamer Erziehungspartnerschaft und Netzwerkarbeit im städtischen Sozialraum.

Dieser ständig wachsenden Verantwortung, die in individuellen Bildungsberichten und
Elterngesprächen regelmäßig dokumentiert werden muss, steht allerdings keine angemessene Vergütung gegenüber.

Das Einstiegsgehalt für eine Erzieherin liegt derzeit – nach vier bis fünf Jahren Ausbildung, in der Fachschulzeit zudem ohne Ausbildungsvergütung – bei 2.366,68 Euro brutto monatlich. Nach vierjähriger Tätigkeit sind es 2.768,08 Euro, nach acht Jahren 2.946,46 Euro brutto.

Diese Beträge beziehen sich allerdings auf eine Vollzeittätigkeit. Bundesweit arbeiten jedoch mehr als 60 Prozent aller Beschäftigten im Sozial- und Erziehungsdienst nur in Teilzeit, vor allem weil Vollzeitstellen gar nicht erst angeboten werden.

In manchen Bundesländern liegt der Teilzeitanteil bei über 80 Prozent. Die meisten Teilzeitkräfte arbeiten auch in Hilden zwischen 21 und 32 Stunden pro Woche, gefolgt von der zweitgrößten Gruppe mit Verträgen zwischen und 10 und 21 Wochenstunden.

Das ist der eingebaute Zwang zum Zweit- oder Drittjob!

Viele der Frauen – über 90 Prozent der Beschäftigten in Kinderbetreuungseinrichtungen sind weiblich – gehen neben ihrer regulären Beschäftigung kellnern, putzen oder räumen Regale im Einzelhandel ein, weil sie mit dem, was sie für ihre wichtige Arbeit als Lohn erhalten, nicht über die Runden kommen.

Es ist bezeichnend, wenn eine stellvertretende Kita-Leiterin, die seit 29 Jahren im Beruf ist,
feststellt, dass sie genauso viel verdient wie ihr Neffe, der gerade seine Ausbildung als
Chemielaborant abgeschlossen hat.

Der Chemielaborant ist sicherlich sein Geld wert – aber die Arbeit und Verantwortung in der Kita-Leitung muss ebenfalls finanziell angemessen bewertet werden.

Das gilt genauso für Sozialarbeiter oder Sozialpädagoginnen, Heilerziehungspfleger oder andere Beschäftigte in Einrichtungen für Behinderte sowie in der Kinder-, Jugend- und Familienhilfe.

Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter im Allgemeinen Sozialdienst agieren in einem komplizierter  gewordenen Umfeld mit vermehrt auftretenden psychischen Erkrankungen bei Erwachsenen  wie Kindern, zum Teil in Stadtteilen mit hoher Langzeitarbeitslosigkeit, zunehmender  Kinderarmut, mehr Alleinerziehenden und veränderten Familienkonstellationen.

In  ihrer Garantenstellung für das Kindeswohl stehen sie oft „mit einem Bein im Gefängnis“ –  immer in der Sorge, zu viel oder zu wenig getan zu haben. Sie sind immer schuld, wenn  etwas schief läuft. Sie sind immer am Pranger, wenn zu spät gehandelt wird – genauso,  wenn sie schnell eingreifen.

Ähnlich ist die Situation bei den Beschäftigten in Einrichtungen für Menschen mit Behinderung.

Es geht im Sozial- und Erziehungsdienst auch um eine deutliche Aufwertung „klassischer“
Frauenberufe. Die beschäftigten wollen nicht auf ein Gesetz zur Entgeltgleichheit warten, so sinnvoll es je  nach Ausgestaltung auch sein könnte.

Aber die Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA) leugnet bisher jeden
generellen Aufwertungsbedarf. Sie hat in fünf Verhandlungsrunden ein verhandlungsfähiges  Angebot verweigert und stattdessen lediglich punktuell und vage „vielleicht“  für „einige wenige“ kleinere Verbesserungen in Aussicht gestellt.

Aber die „lieben Erzieherinnen“ und auch die übrigen „mitfühlenden und engagierten Beschäftigten“  im Sozial- und Erziehungsdienst sind nicht länger bereit, sich mit guten Worten  abspeisen zu lassen und auf eine angemessene Entlohnung ihrer Arbeit zu verzichten.

Deshalb  stehen wir im Sozial- und Erziehungsdienst und insbesondere in Kitas, vor einem unbefristeten  Streik, der in etlichen Regionen mehrere Wochen dauern kann – über Pfingsten  hinaus – und bei einer anhaltenden Verweigerungshaltung der Arbeitgeber Zug um Zug  durch Einbeziehung weiterer Einrichtungen ausgeweitet werden wird.

Das betrifft auch euch und die Kolleginnen und Kollegen im Betrieb als Eltern, Großeltern,  Freunde, Verwandte.

Die Gewerkschaft bedauert, dass ein notwendiger Streik in Kitas manche Kolleginnen und Kollegen dazu zwingt, die Kinderbetreuung selbst zu organisieren. Gewerkschaft und Streikende wollen das nicht, aber die Arbeitgeber setzen derzeit darauf, dass sie den Tarifkonflikt auf dem Rücken der Eltern und ihrer Kinder aussitzen können.

Die Verantwortung dafür liegt bei den kommunalen Arbeitgebern.

Oberbürgermeister, Bürgermeister, Landräte, Rats- und Kreistagsfraktionen und die dortigen Fraktionsvorsitzenden müssen ihren Einfluss in den Gremien der kommunalen Arbeitgeberverbände geltend  machen, damit die Beschäftigten im Sozial- und Erziehungsdienst ein lange überfälliges  Angebot zu einer besseren Eingruppierung und damit zur Aufwertung ihres Berufsfelds  erhalten!

Die kommunalen Arbeitgeber haben es in der Hand, einen unbefristeten Streik
jederzeit zu beenden – oder im besten Falle noch zu vermeiden.